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Das Cover meiner Ausgabe von “Unten am Fluss” aus 1985 ziert ein Spiegelzitat: “Dieses Buch hat es verdient, unsterblich zu werden.” Klingt vielsprechend… Ich bin mir da aber nicht so sicher.
Selten hat mich ein Buch so zweigespalten zurückgelassen wie “Unten am Fluss” Richard Adams:
Einerseits ist es ein großartiges und fantasievolles Abenteuer, in dem es um mehr als nur ein paar Kaninchen geht und mich gut unterhielt.
Andererseits vermittelt es ein sehr traditionelles weibliches Rollenbild, das mir die Lesefreude bisweilen schon ziemlich vermieste.
Worum geht es?
Fiver ahnt es als Erster: Der Kaninchenbau ist in großer Gefahr. Obwohl ihm das Oberkaninchen nicht glaubt, flieht er sich zusammen mit seinem Bruder Hazel und ein paar anderen Kaninchen ins Ungewisse. Es wird eine anstrengende Reise voller gefährlicher Abenteuer, die einigen Blutzoll verlangt, bevor in der neuen Heimat endlich Freiheit und friedliches Glück winken.
Warum habe ich es gelesen?
Als Kind habe ich gerne die Zeichentrickserie zu “Unten am Fluss” gesehen. Die zahlreichen Abenteuer der Kaninchen auf dem Weg in eine neue Heimat gefielen mir sehr. Auch erinnerte ich mich noch daran, dass die Geschichte auch auf die Folgen des Menschen durch dessen Eingriff in Natur und die zunehmende Umweltverschmutzung hinwiesen. Als ich dieses Buch für die Leserlieblingsbuchchallenge empfohlen bekam, war ich daher sofort angetan. Ich war gespannt, wie ich “Unten am Fluss” nun mit den Augen einer Erwachsenen wahrnehmen würde.
Wie war mein erster Eindruck?
Ich las “Unten am Fluss” in einer älteren Ausgabe aus 1985, die ich zufällig im öffentlichen Bücherregal im Büro fand. Die Ausstattung sprach mich gleich an. Das Buch enthält zwei gezeichnete Karten, die den Weg der Kaninchen und die einzelnen Stationen schön illustrieren.
Den Schriftsatz fand ich jedoch sehr anstrengend. Das Buch ist in engen Zeilen und einer kleinen Schrift verfasst, was mich als kurzsichtige Brillenträgerin bisweilen ermüdete.
Das Buch ist in vier Teile mit jeweils mehreren Kapiteln untergliedert. Jedem Kapitel ist ein Zitat vorangestellt, das einen inhaltlichen Bezug aufweist. Eine beeindruckende Fleißarbeit!
Auch inhaltlich sprach mich der Anfang gleich an, denn Richard Adams kommt ohne große Umschweife direkt zur Sache und beginnt seine Geschichte mit Fivers böser Vorahnung eines nahenden großen Unheils. So ist man sofort mitten in der Geschichte und erlebt sofort eine Spannung, die einen zügig weiterlesen lässt.
Dennoch brauchte es einige Zeit, bis ich mich ganz in der Geschichte zu Recht fand. Die Kaninchen verfügen nämlich über eigene Ausdrücke, die in Fußnoten erläutert werden. Bis man sich dieses “Vokabular” angeeignet hat, ist der Lesefluss leider etwas stockend und mühsam. Ein Anhang wäre meines Erachtens eine schönere Lösung gewesen. So hätte man einzelne Ausdrücke auch später noch einmal nachschlagen können.
Wie fand ich die Übersetzung?
Egon Strohms Übersetzung enthält leider ein paar Fallstricke, die bei mir zeitweise für etwas Verwirrung sorgten. So wird das englische warren beispielsweise mit Gehege übersetzt, obwohl es sich um wilde Kaninchen handelt. Gerade zu Beginn des Buchs stolperte ich immer wieder über diese Bezeichnung. Kaninchenbau wäre meines Erachtens eine treffendere Bezeichnung gewesen.
Schön fand ich indessen, dass die Eigennamen der Kaninchen, die meist nach Pflanzen benannt sind, nicht übersetzt wurden. Pusteblume und Haselnussstrauch wäre schon sehr seltsame und kitschige Kaninchennamen gewesen.
Wie fand ich die Charaktere?
“Unten am Fluss” ist aus der Perspektive der Kaninchen geschrieben. Solche ungewohnten Sichtweisen machen mir immer Spaß.
Adams Kaninchen sind dabei nicht so stark vermenschlicht, wie dies in klassischen Fabeln der Fall ist. Sie haben eine sehr grenzten Horizont und verlassen sich weitestgehend auf ihre natürlichen Instinkte. Andererseits unterhalten sie sich, verfügen – wie bereits beschrieben – über eigene Ausdrücke und haben sogar eine eigene Mythologie.
Für mich hatte diese Mischung einen besonderen Reiz. Der Leser erlebt relativ natürliche Verhaltensweisen; gleichzeitig bringen die eigene Sprache und Mythologie die Kaninchen dem Leser ein ganzes Stück näher. Man meint einen Einblick in eine sonst verschlossene Welt zu bekommen.
Die fliehende Kaninchengruppe ist eine sehr bunt zusammengewürfelte Truppe. Vom jugendlichen Heißsporn mit Anführerqualität über den feinfühligen Träumer bis hin zum geborenen Kämpfer sind alle Charaktere vertreten. Dass sich diese so leicht zuordnen lassen, störte mich in diesem Fall nicht sonderlich. Die Geschichte, die Richard Adams in “Unten am Fluss” erzählt ist eine so universelle, dass ich es vollkommen legitim – ja, fast schon notwendig – finde, hier mit Stereotypen zu arbeiten.
Von Anfang etwas vermisst, habe ich jedoch weibliche Charaktere. Die fliehenden Kaninchen sind ausnahmslos männlich. Sie treffen zwar später auf andere Kaninchen, darunter auch Weibchen; diese werden jedoch nur sehr selten namentlich genannt und bleiben während des gesamten Buchs im Hintergrund und ausnahmslos Nebencharaktere. Eine ausgewogene Charakterauswahl sieht für mich anders aus. Da ändert es auch nicht viel, dass “Unten am Fluss” bereits 1972 geschrieben wurde.
Wie fand ich das Buch insgesamt?
“Unten am Fluss” ist eine spannende Geschichte über die Suche nach einer neuen Heimat. Im Exodus der Kaninchen schwingt nur die Frage des Verhältnisses des Menschen zur Natur (Umweltverschmutzung, Zerstörung natürlichen Lebensraums) mit. Es ist auch eine interessante Studie darüber, was gute Führung ausmacht. Zudem werden in den unterschiedlichen Kaninchengruppen, denen die Helden begegnen, verschiedene Gesellschaftsformen porträtiert und in Bezug auf die Freiheit des Einzelnen dargestellt.
Gerade unter dem letzten Gesichtspunkt fand ich den Handlungsverlauf und bereits angedeuteten Blick auf die Weibchen der Gruppe jedoch problematisch. Die neuen Heimat “Watership Down”, nach der der Roman im englischen Original benannt ist, erreichen die Kaninchen bereits im zweiten Teil. Danach dreht sich die Geschichte um deren Bemühungen, Weibchen für den eigenen Bau zu finden. Die Rolle der Frau wird dabei ziemlich eindimensional dargestellt. Weibchen sind reines Zuchtmaterial, die nur solange etwas wert sind, wie sie zur Fortpflanzung taugen. Um das Fortbestehen des eigenen Baus zu sichern, beschließt man daher kurzerhand, einfach eine ausreichende Zahl zu entführen.
Nun könnte es zwar mit dem Argument, Richard Adams schreibe eben über Kaninchen und Natur sei eben Natur. Aber “Unten am Fluss” ist wesentlich mehr, als nur einen nette Geschichte über ein paar Kaninchen. Sie dient auch dazu den Wert bestimmter Gesellschaftsform wie z.B. dem Sozialismus, totalitärer Systeme und der Demokratie für die Freiheit des Einzelnen zu beleuchten. Vor diesem Hintergrund finde ich es auch und gerade 1972 sehr empörend, ein so traditionelles Frauenbild zu propagieren. Ich mag diesbezüglich vielleicht besonders empfindlich sein, aber mich störte diese Entwicklung der Geschichte massiv und verhagelte mir im dritten und vierten Teil doch sehr den eigentlich spannenden Lesegenuss.
www.kerstin-scheuer.de